Siedlung Schnödeneck in Sindelfingen
Baufibel zur Gestaltungs- und Erhaltungssatzung
Im Auftrag der Stadt Sindelfingen Amt für Stadtplanung und Umwelt.
Realisation: www.schlecht-architekten.de
Was ist eine Gestaltungs- und Erhaltungssatzung?
Die Satzung ist vom Gemeinderat der Stadt beschlossenes Ortsbaurecht. Für die Bebauung im bezeichneten Geltungsbereich sind verbindliche Regelungen über die äußere Gestaltung von Gebäuden und baulichen Anlagen geschaffen. Sie betreffen sowohl Neubauten als auch geplante Veränderungen am gegenwärtigen Baubestand, soweit sie für die Öffentlichkeit sichtbar und für das Erscheinungsbild der Siedlung wichtig sind.
Warum ist eine Gestaltungs- und Erhaltungssatzung erforderlich?
Viele das Stadtbild prägende Häuser und Bauwerke gehen durch Umbau und Abbruch verloren. Erforderlicher Wohnraum ist oft vorrangig und läßt gestalterische Belange zurücktreten. Durch falsch verstandene Fassadenmodernisierungen schädigt man das Stadtbild weiter. Aufkommendes Unbehagen — man spricht von der Unwirtlichkeit der Städte — ist die Folge. Die für die Lebensqualität positiven Auswirkungen durch Maßstäblichkeit und Gestaltung der bebauten Umwelt sind inzwischen wieder erkannt worden.
Die überwiegend unverfälscht erhaltene historische Bausubstanz prägt das Erscheinungsbild der Siedlung und gehört zu einem tragenden und bestimmenden Element des Stadtbildes. Die äußere Form zeitgeschichtlich und architektonisch wertvoller Bauten zu sichern und durch diese Bauten geprägte Straßenzüge in ihrer Qualität zu erhalten, ist Ziel der Gestaltungs- und Erhaltungssatzung. Die Satzung schließt aber nicht jede Änderung aus, sondern läßt genügend Spielraum für abgestimmte Erweiterungen und Ergänzungen vorhandener Bauten.
Welche Regeln enthält die Satzung?
Es kommt darauf an, dass Änderungsvorhaben mit der schützenswerten Architektur harmonisieren und der prägende Charakter dieser Häuser nicht verfälscht wird. Die Satzung legt besonderes Gewicht auf die Erhaltung der Fassaden der 20er Jahre, wobei alle Gebäudeöffnungen, Dachformen und Aufbauten sowie die Baudetails wesentliche Gestaltungselemente darstellen. Grundsätzlich muß auch bei Anwendung zeitgemäßer Baumaterialien auf die historische Bausubstanz Rücksicht genommen werden, vor allem durch Beachtung des kleinteiligen, auf den Menschen bezogenen Maßstabs der Siedlung. Einfügen in die räumliche Umgebung. Der vorhandene historisch spezifische Charakter der Straßenzüge soll durch entsprechende Baukörpergestaltung und angepaßte Materialwahl erhalten bleiben. Eine Fassade mit einer anderen als Putz verkleideten Aussenhaut zerstört zweifellos den vorhandenen historischen Charakter.
Welche Baumaßnahmen sind genehmigungspflichtig?
Die Satzung gilt für alle baulichen Maßnahmen, die das Erscheinungsbild des Gebäudes verändern, also auch Fassadenanstrich, Auswechseln von Fenstern und Türen oder neue Dacheindeckungen. Für neue An-, Um- und Erweiterungsbauten ist ohnehin eine Baugenehmigung zu beantragen. Im Genehmigungsverfahren wird dann auch die Gestaltung behandelt und beurteilt.
Was haben Eigentümer/Bauherren zu tun?
Wenn Sie entschlossen sind, Ihr Haus zu verändern, sollten Sie sich gleich an die Baugenehmigungsbehörde (Baurechts- und Vermessungsamt) der Stadt wenden und die geplanten Maßnahmen anzeigen. Bitte tun sie dies, bevor sie beim Baumarkt oder Baustoffhändler Material oder Bauteile wie Fenster oder Türen bestellen. Die Gestaltungs- und Erhaltungssatzung sowie die Baufibel sind beim Amt für Stadtplanung und Umwelt, Abt. Stadterneuerung und Denkmalpflege im Rathaus zu erhalten.
Geschichtlicher Abriss der Schnödenecksiedlung
Als Folge der Industrieansiedlung in Böblingen und Sindelfingen nach dem 1. Weltkrieg wurde die Schaffung neuen Wohnraums dringend erforderlich. Zu diesem Zweck wurde 1919 der Bau- und Sparverein Sindelfingen gegründet. Als Baugelände wählte man das Gebiet am Schnödeneck. 1919/20 wurden 24 Häuser errichtet. Bis 1923 stand die neue Siedlung mit 80 Bauten. Für Entwurf und Bauleitung war Professor Paul Schmitthenner von der Technischen Hochschule in Stuttgart verantwortlich.
Die Anlage zieht sich bogenförmig an der Schillerstraße entlang mit Kopfbauten an beiden Enden, die zu den Häusern der leicht ansteigenden Burghalden- bzw. Arthur-Gruber-Straße überleiten. Parallel zur Schillerstraße schließt sich die beiderseitige Bebauung der nahezu geradlinigen Uhlandstraße an. Je ein weiterer Baublock in der Burghalden- und in der Arthur-Gruber-Straße bilden den Abschluss.
Die durchweg als Doppelhäuser konzipierten eingeschossigen Bauten sind je nach Bau- und Gestalttypus zu verschiedenen in sich geschlossenen Baugruppen zusammen gefasst. Vor allem die höher gelegene mittlere Baugruppe der östlichen Uhlandstraße ist durchgehend zweigeschossig. Die meisten Häuser haben an Schmal- oder Rückseiten einen Stall oder Schuppen, der sich der Symmetrie der Bauten unterordnet.
Neben der Ausbildung unterschiedlicher Bautypen und Gestaltungs-Varianten verdient die Behandlung der Details besondere Aufmerksamkeit. Auf den Walm- bzw. Schopfrwalmdächern sitzen Rechteck-Dachhäuschen oder Fledermaus-, Oval- und Rundbogen-Gauben. Hier, wie bei allen Fenstern und Türen, geben Profilierung und Sprossengliederung den Häusern ihr charakteristisches
Gepräge. Die Sorgfalt, die der Ausformung der Details zugewandt wurde, äussert sich z.B. auch in Schmuckziegeln als Abschluss der Walmgrate. Typisch für den Stil Schmitthenners ist auch die schlichte, dennoch nicht ungegliederte Gesimsform.
Die Siedlung „Schnödeneck“ bezeugt somit einen traditionsgebundenen, heimatbezogenen Baustil. Dieser ist kennzeichnend für die sogenannte Stuttgarter Schule, die sich in der Auseinandersetzung um das „richtige“ Neue Bauen als Gegenbewegung zum internationalen Stil, wie er z. B. vom Bauhaus propagiert wurde, herausbildete und, als deren Hauptvertreter neben Paul Bonatz Schmitthenner gilt.
Als weiterer Aspekt ist bei dieser Anlage der sozialgeschichtliche von Bedeutung, der bereits für die 1898 von dem Briten E. Howard konzipierte „garden City“ entscheidend war. Hier wie dort galt es, am Rande übervölkerter Städte eine von Grünanlagen durchsetzte Siedlungsform für vorwiegend untere bis mittlere gesellschaftliche Gruppierungen zu schaffen.
„Schnödeneck“ in Sindelfingen, für dessen Entstehung die 1915 (beim dortigen soeben eröffneten Bahnhof) erfolgte Niederlassung der Daimler-Motoren-Gesellschaft ausschlaggebend war, stellt zusammen mit der Reichsgartenstadt in Berlin-Staaken (1914-1917) sowie den späteren Siedlungen Ooswinkel in Baden-Oos (ca. 1925) und Kochenhof in Stuttgart (1933) eine wichtige Bauaufgabe im
Werk Paul Schmitthenners dar. Sie ist zudem aufschlussreich für die damalige wirtschaftliche Situation Sindelfingens und die daraus resultierende soziale Aufgabenstellung wie auch übergreifend — im Hinblick auf die Baugeschichte, insbesondere den genossenschaftlichen Wohnungsbau, sowie die Wirtschafts- und Sozialgeschichte Deutschlands zwischen den beiden Weltkriegen.
Trotz Veränderungen ergibt sich somit das öffentliche Interesse an der Erhaltung der Schnödeneck-Siedlung aus heimatgeschichtlichen und wissenschaftlichen Gründen.
Strassenabwicklung: Schillerstraße, Arthur-Gruber-Straße, Burghaldenstraße, Uhlandstraße
Dachformen
Die in der Siedlung vorherrschenden Dachformen sind;
- Satteldächer
- Krüppelwalmdächer
- Walmdächer
- Zwerchhäuser
Anbauten
Anbauten sind grundsätzlich mit Walmdächern ausgestattet und niedriger ausgebildet als die Hauptgebäude. An den Walm- oder Krüppelwalmseiten der Endhäuser existieren Anbauten in Gebäudelängsrichtung, bei Mittelhäusern quer zur Längsrichtung
1. Anbau an einer Walmseite
2. Anbau an einer Krüppelwalmseite
3. Anbau quer zur Firstrichtung
Dachaufbauten
Dachdetails
Die Dachneigung beträgt 50Grad . Die bei Sparrendachkonstrukionen üblichen Aufschieblinge an der Traufe erzeugen den für das Erscheinungsbild typischen Knick in der Dachfläche. Der Dachüberstand beträgt ca. 30 cm und ist geprägt durch das traditionelle Traufgesims mit schrägstehender Brettschalung und vorgehängter Rinne.
Die Dachdeckung besteht aus naturroten, nicht engobierten Biberschwanzziegeln mit Rundbogenschnitt als Doppeldeckung.
Details im Aussenbereich
An der Uhlandstraße und ursprünglich auch an der Schillerstraße vorhandenes verputztes Mauerportal mit Werksteinabdeckungen.
Aussentüren, Fenster
Die Hauseingangstüren sind gestemmte oder aufgedoppelte Holzrahmenkonstruktionen mit einer senkrechten Brettschalung im unteren Türbereich und einer sprossengeteilten Verglasung im oberen Türbereich. Die Verglasung kommt in unterschiedlichen ornamentalen Ausführungen vor.
Fenster und Klappläden
Die ursprünglichen Fenster sind ein oder mehrflügelige Holzverbundkonstruktionen mit umlaufenden Holzeinfassungen. Sämtliche vorkommenden Fenstertypen sind durch horizontale Sprossen so gegliedert, dass Glasflächen mit liegendem Rechteckformat entstehen.
Üblich sind ein-, zwei- oder dreiflügelige Fenster mit den Breiten 55 cm, 110 cm und 165 cm und den Höhen 75 cm, 100 cm und 125 cm.
Die ursprünglichen Klappläden aus Holz sind üblicherweise auf der Straßenseite als Lamellenkonstruktion ausgeführt, auf der Gartenseite als geschlossene Brettkonstruktion mit Rautenschnitt.