Weißenhof contra Kochenhof

Architekturkrieg in Stuttgart

„Der Kern unserer alten Städte mit ihren Domen und Münstern muss zerschlagen und durch Wolkenkratzer ersetzt werden“

Die Aussage stammt von dem Architekten Le Corbusier und lässt erahnen, mit welcher Radikalität zu Beginn des 20. Jahrhunderts neue städtebauliche Ideen verfolgt wurden. Besonders das Neue Bauen, zu dessen Vertretern Le Corbusier zählte, sorgte für Schlagzeilen. Aus ihrer Sicht war Architektur etwas, das sich dem Maschinenzeitalter anzupassen hatte. Le Corbusiers fasste diese Entwicklung in dem einen Satz zusammen:

 „Das Haus ist eine Maschine.“

Mit dem Neuen Bauen, das die Grundlage der Bauhaus-Schule bildete, änderten sich auch die Bautechniken. Neue Materialien wie Glas und Stahl kamen zum Einsatz. Flachdächer und kubische Bauten waren typische Merkmale dieser neuen Stilrichtung.

Gegensätze tun sich auf

Den Brückenkopf dieser Avantgarde bildete 1927 die in Stuttgart erbaute Weißenhofsiedlung, deren künstlerische Gesamtleitung Ludwig Mies van der Rohe, der spätere Bauhausdirektor, innehatte.  17 europäische Architekten, darunter auch Le Corbusier, errichteten 21 Häuser mit insgesamt 60 Wohnungen in dieser Mustersiedlung. Zur gleichen Zeit war die Stadt aber auch Hochburg der Stuttgarter Architektenschule, zu deren bekanntesten Vertretern Paul Bonatz und Paul Schmitthenner gehörten.  Und hier, in dieser schwäbischen Metropole, stießen die Protagonisten des Traditionalismus und des Neuen Bauens auf engstem Raum zusammen.

Kochenhofsiedlung 1933 und Weißenhofsiedlung 1927

Ein Konflikt eskaliert

Gemeinsam war beiden Richtungen die Suche nach neuen Formen und der Wille günstigen und guten Wohnraum zu schaffen. Doch während für Schmitthenner das Bauen ein evolutionärer Prozess war, verstanden die Verfechter des Neuen Bauens unter Erneuerung der Architektur den Bruch mit der Vergangenheit. Spätestens als das Bauhaus 1923 den Schwenk vom Handwerk als Basis künstlerischen Schaffens hin zu mehr Technik vollzog, verweigerte Schmitthenner die Gefolgschaft. Die anfängliche Diskussionsbereitschaft eskalierte in den Folgejahren zu einem Streit zwischen den Vertretern des Neuen Bauens und der Stuttgarter Schule.

Die Provokation

Für Schmitthenner war das Projekt „Weißenhofsiedlung“ eine Provokation. Er entwickelte eine geradezu militante Gegnerschaft gegenüber dem Neuen Bauen und setzte alles daran, ein Gegenmodell dafür zu entwickeln.

Die ersten Planungen dafür, die aus dem Jahr 1927/28 stammten, konnten aufgrund der wirtschaftlichen Situation nicht realisiert werden. Zu sehr hatte die Wirtschaftskrise Deutschland bereits im Griff. Die Nationalsozialisten waren es schließlich, die Schmitthenners Vorhaben dann unterstützten. Im Rahmen der Bauausstellung „Deutsches Holz für Hausbau und Wohnung“ entstand 1933 die Kochenhof Siedlung mit insgesamt 25 Einzelhäusern. Der größte Teil wurde bei Luftangriffen im Zweiten Weltkrieg zerstört. Das Kriegsende bedeutete auch das  endgültige  „Aus“ für die traditionelle Stuttgarter Schule. Den Zerfall kommentierte die Zeitschrift „Bauwelt“ 1957 mit den Worten:

„Den Krieg, der 1927 in Stuttgart begann, hat Corbusier gewonnen und nicht Schmitthenner.“