WILHELM HÖRMANN

MIT BLICK ÜBER DEN TELLERRAND

Wilhelm Hörmann war gerade 27 Jahre alt, als die Sindelfinger ihn 1895 zum Schultheiß wählten. Schon während des Wahlkampfs wurde er wegen seines jugendlichen Alters kritisch beäugt. Gelegentlich erhielt er auch den wohlmeinenden Rat, doch erst einmal in die Welt hinauszugehen, um Erfahrungen zu sammeln.

Ein genauer Beobachter

Zugute kam Hörmann seine Offenheit für alles Neue. Zeitgenossen berichten, dass er sehr tatkräftig und entschlossen handelte, wenn er von einer Sache überzeugt war. Er beobachtete die Entwicklung in anderen Städten und Gemeinden und zog seine Lehren für Sindelfingen daraus. Damit brachte er genau die Voraussetzungen mit, um die Stadt in wirtschaftlich unsicheren Zeiten in das Industriezeitalter zu führen.

Auf Hörmanns Initiative ging die Ansiedlung der Daimler-Motoren-Gesellschaft (DMG) im Jahr 1915 zurück. Doch schon zuvor hatte er die Weichen für eine neue Zeit gestellt. Zum Beispiel unterstützte er die Ansiedlung der Maschinenfabrik Kabisch, einer Vorläuferfirma der IBM. Während seiner Amtszeit erhielt Sindelfingen einen Bahnhof und das Gaswerk wurde eröffnet.

Fertigstellung des Gaswerks 1903

Heftige Auseinandersetzungen

Mit seiner Innovationfreudigkeit stieß Hörmann bei den Sindelfingern nicht nur auf Sympathie. Heftiger Widerstand schlug ihm beim Bau der Wasserleitung entgegen. Schon 1897 hatte er sie in Planung gegeben, doch erst gute 30 Jahre später konnte sie nach heftigen Auseinandersetzungen eingeweiht werden. Fast wie eine Rechtfertigung klang es, als er rückblickend einmal sagte:

 „Es ist nicht so, wie ein Bürger einmal gemeint hatte, ich betreibe bloß deshalb die Wasserleitung, dass einst an meinem Grab rühmend davon gesprochen wird.“

 Mit Skepsis und missbilligend verfolgten viele „Altsindelfinger“ auch den Bau der Schnödenecksiedlung. In einem Leserbrief vom 12.11.1920 wütete ein Sindelfinger über den vom Gemeinderat bewilligten außerplanmäßigen Baukostenzuschuss:

„. . . .Steuerzahler, besinnt Euch! ehe weiter gebaut wird. Heraus aus der Versenkung. Oder wollt ihr für Phrasenmäuler ewig Versuchskaninchen bleiben und Euch am Nasenband gängeln lassen bis zum endlichen Bankrott. – Viele habens nachgerade satt!“ 

 Hörmann nahm dazu ein paar Tage später Stellung im Gemeinderat:

„. . . .Wenn also die Gemeinde Sindelfingen sich künftig weigern sollte Zuschüsse zu gewähren, so muss eben das Bauen unterbleiben. Wenn der Gemeinderat den sog. Ueber-Ueberteuerungszuschuss  nicht verwilligt hätte, so wären 417 000 Mark Reichs- und Staatszuschüsse verloren gewesen. Ob das in unserem Interesse gelegen hätte, überlasse ich der Beurteilung des einsichtigeren Teils der Einwohnerschaft. Es bleibt dann nicht bloß die Wohnungsnot in ihrer allerdings nicht allen Menschen bekannten Größe und Wucht mit ihren Gefahren bestehen, sondern es wird auch das ganze Bauhandwerk ruhen. . . .und es können dann Baumeister, Bauunternehmer und Bauhandwerker stempeln gehen und Erwerbslosenfürsorge beantragen. . . .!“
Gemeinderatssitzung 18.11.1920

Persönliche Rückschläge

Konflikte dieser Art begleiteten die Amtszeit von Wilhelm Hörmann und auch persönlich musste er enorme Rückschläge einstecken. Fünf seiner zehn Kinder starben bereits in frühen Jahren. Sein Sohn Otto fiel als Soldat im Ersten Weltkrieg.

Als er 1932 zurücktrat, bezeichnete er sich selbst als verbrauchten 63-jährigen Mann. In seiner Abschiedsrede sagte er:
„Der Chronist legt seine Feder nieder. Ich habe während meiner Amtszeit viel Freud, aber namentlich in den letzten Jahren auch viel Leid und Widerwärtigkeiten erlebt. Ich schließe mit den Schillerworten:
‚In den Ozeanen schifft mit 1 000 Masten der Jüngling,

Still, auf gerettetem Boot treibt in den Hafen der Greis.“‘

Wilhelm Hörmann starb 1944.